Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dietz,
Die umfassenden Waldrodungen der letzten Wochen in Lörrach und Weil haben in der BUND Ortsgruppe Lörrach-Weil Entsetzen und Unverständnis ausgelöst. Im Hintergrund haben seither Mitglieder der
BUND Ortsgruppe über Gespräche mit dem Forstrevierleiter J. Trautwein, Meldungen an die Untere Naturschutzbehörde im Landratsamt Lörrach sowie Nachfragen bei den Stadtverwaltungen Lörrach und
Weil versucht, Erklärungen für die kahlhiebsartigen Baumfällungen unter dem Argument der Verkehrssicherungspflicht zu finden. Tatsache ist, dass im Vorfeld weder örtliche ehrenamtliche
Naturschützer wie die BUND Ortsgruppe Lörrach-Weil noch hauptamtliche Fachleute des Trinationalen Umweltzentrums oder der Unteren Naturschutzbehörde noch Schweizer Partner der Arbeitsgruppe
Landschaftspark Wiese in die anstehenden Maßnahmen mit einbezogen wurden. Und das, obwohl die Baumfällungen in der Schonzeit der Vogelbrut und inmitten der sich in vollem Gang befindlichen
Amphibienwanderung der artenrechtlich geschützten Erdkröte stattgefunden haben bzw. im letzteren Fall gerade noch verhindert werden konnten. Unverantwortlich auch, dass das Naturschutzgebiet
Kiesgrube Käppelin nicht geschont wurde. Daran zeigt sich, wie dringend notwendig eine neue Denkweise seitens der Stadtverwaltungen und des Forstamtes dahingehend ist, die weitreichenden Rechte
der Forstwirtschaft nicht blindlings auszuschöpfen, sondern andere relevante und fachkundige Akteure des Natur- und Artenschutzes mit einzubinden. Das Ergebnis kann für alle nur ein besseres
werden.
Leserbriefen in den Tageszeitungen ist zu entnehmen, wie schockiert die Bevölkerung im Landkreis ist. Die Menschen wenden sich auch an uns mit ihren Sorgen um Bodenerosion, Verlust von
Naherholungsoasen, weiteren Kahlhieben in der nächsten Saison, Verlust von Lärmschutz zwischen Autobahn und Wohngebiet (Lörrach), Verringerung der Wohnqualität, Verschlechterung des städtischen
Klimas, Verlust von alten Bäumen und Arten usw. Wir teilen diese Sorgen und verlangen nach Erklärungen für die begangenen Fehler. Dazu holen wir uns auch die Expertise von Fachleuten auf
Landesebene.
Schutzgebietsverletzungen
Aus Sicht des Umwelt- und Naturschutzes ist weder der Zeitpunkt noch das Ausmaß der Fällarbeiten zu rechtfertigen. Was die Arbeiten am Sohleck betrifft ist die Lage besonders schlimm: Dort wurde auch im Naturschutzgebiet Kiesgrube Käppelin in unsensiblem, größeren Stil geholzt und das obwohl das in Weil am Rhein ansässige Trinationale Umweltzentrum (TRUZ) vom Regierungspräsidiums Freiburg als Obere Naturschutzbehörde mit der Schutzgebietsbetreuung und dem Pflegemanagement beauftragt ist.
Das TRUZ ist ein eingetragener Verein, zu dessen
Mitgliedern u.a. auch die Städte Lörrach und Weil am Rhein zählen. Im TRUZ sind Fachleute der Forstwirtschaft, der Landschaftsökologie und der Umweltwissenschaften hauptamtlich beschäftigt. Man
hätte hier ohne Weiteres im Vorfeld relevante Fakten abklären und Schaden vermeiden können. Jede Maßnahme, die das Naturschutzgebiet betrifft, hätte nur mit vorheriger Genehmigung (Befreiung)
durch das RP stattfinden dürfen. All dies ist nicht erfolgt.
Auszug aus der Schutzgebietsverordnung für die Kiesgrube Käppelin:
§ 3 Schutzzweck
Wesentlicher Schutzzweck des Naturschutzgebietes ist die Erhaltung und Entwicklung einer ehemaligen Kiesgrube und ihrer Umgebung als
1. ein Bereich mit wertvollen Lebensräumen unterschiedlicher Ausprägung wie z.B. Mulden und Tümpeln, Kiesrohböden, Kies- und Schwemmlingsfluren, Ruderalgesellschaften, Gebüsch- und Sukzessionsstadien sowie verschiedenen Rasengesellschaften;
2. Lebensraum für eine Vielzahl zum Teil stark gefährdeter Tierarten, insbesondere Vogel- und Amphibienarten;
3. Rast- und Überwinterungsgebiet für zahlreiche zum Teil vom Aussterben bedrohte Vogelarten;
4. bedeutsamer Biotop inmitten eines Ballungsgebietes.
§ 4 Verbote
(1) In dem Naturschutzgebiet sind alle Handlungen verboten, die zu einer Zerstörung, Veränderung oder nachhaltigen Störung im Schutzgebiet oder seines Naturhaushalts oder zu einer Beeinträchtigung der wissenschaftlichen Forschung führen oder führen können. Insbesondere sind die in den Absätzen 2 bis 6 genannten Handlungen verboten.
(2) Zum Schutz von Tieren und Pflanzen ist es verboten,
1. Pflanzen oder Pflanzenteile einzubringen, zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören;
2. ...
3. Tiere einzubringen, wild lebenden Tieren nachzustellen, sie mutwillig zu beunruhigen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder Puppen, Larven, Eier oder Nester oder sonstige Brut-, Wohn- oder Zufluchtsstätten dieser Tiere zu entfernen, zu beschädigen oder zu zerstören;
4. wild lebende Tiere an ihren Nist-, Brut-, Wohn- oder Zufluchtsstätten durch Aufsuchen, Fotografieren, Filmen oder ähnliche Handlungen zu stören;
5. ...
(3) - (5) ...
(6) Weiter ist es verboten,
1. ...
2. ...
3. Lärm, Luftverunreinigungen oder Erschütterungen zu verursachen.
(Diese Informationen sind öffentlich und in ungekürzter Länge nachlesbar unter: https://rips-dienste.lubw.baden-wuerttemberg.de/rips/ripsservices/apps/naturschutz/schutzgebiete/steckbrief.aspx?id=909001000256)
Des Weiteren wurde nach unseren Recherchen erheblich gegen die Verordnung zum Landschaftsschutzgebiet LSG-Nr. 3.36.001 Landschaftsteile in der Stadt Weil am Rhein (Mattrain, Hellerrain und Tränkemattrain) verstoßen. Dort regelt § 2:
§ 2 Verbote
Es ist verboten, innerhalb der in der Landschaftsschutzkarte durch besondere rote Umrahmung kenntlich gemachten Landschaftsteile Veränderungen vorzunehmen, die geeignet sind, die Natur zu schädigen, den Naturgenuß zu beeinträchtigen oder das Landschaftsbild zu verunstalten. Unter das Verbot fallen die Anlage von Bauwerken aller Art, die Anlage oder Ausdehnung von Gräbereien, Sand- und Kiesgruben usw., die Errichtung von Zelt- und Lagerplätzen, Müll- und Schuttplätzen sowie das Anbringen von Inschriften und dergleichen, soweit letztere nicht auf die Landschaftsschutzmaßnahmen hinweisen. Die Schutzmaßnahmen sind hauptsächlich im Interesse der Erhaltung der Vogelwelt erlassen worden. Es ist daher ferner jeder Kahlhieb und jede Rodung des Baum- und Buschbestandes sowie jede Beunruhigung der Vogelwelt untersagt. Unberührt bleibt die wirtschaftliche Nutzung, sofern sie dem Zweck dieser Verordnung nicht widerspricht.
https://www2.lubw.baden-wuerttemberg.de/public/abt2/dokablage/oac_13/vo/3/83360000001.htm
Eine solche Schutzgebietsverletzung kann Anlass zu einer Umweltklage bzw. Verbandsklage sein.
Der Nonnenholzwald ist in der Waldbiotopkartierung Baden-Württemberg als Altholzinsel mit der Biotopnummer 284113364324 ausgewiesen. Es ist die größte zusammenhängende Waldfläche auf der Gemarkung von Weil am Rhein und Lörrach, die in der Wald-Biotopkartierung aufgenommen wurde. Da es in diesem Umkreis keine vergleichbar große Waldfläche gibt, kommt ihr eine besondere Bedeutung zu, die bei Hiebsmassnahmen beachtet werden muss.
Flächen Nonnenholzwald sowie oben an der Schutzackerstrasse: Diese Flächen wurden im Landschaftsentwicklungsplan Landschaftspark Wiese mit dem Entwicklungsziel Landschaftsschutzgebiet vom Gemeinderat am 19.12.2000 als behördenverbindlich beschlossen. Zitat aus dem Gemeinderatsbeschluss: Der "Entwicklungsplan Landschaftspark Wiese" wird als Konkretisierung des Landschaftsplans der Stadt Weil am Rhein aus dem Jahre 1993 zur Kenntnis genommen und als behördenverbindlich beschlossen".
Wir fragen Sie: Warum informiert die Stadt Weil am
Rhein das Forstamt nicht über Schutzgebiete und Landschaftsentwicklungsziele?
Die Grünplanung der Stadt Weil am Rhein wird seit
rund 15 Jahren über die Amphibienwanderung informiert und bekommt jährlich Jahresberichte. Warum wurden diese Kenntnisse nicht berücksichtigt? Warum beauftragt die Stadt trotz der vorliegenden
Kenntnisse solch exzessive Fällungen?
Verkehrssicherungspflicht
Selbstverständlich ist das Problem des Eschentriebsterbens in Naturschutzkreisen bekannt. Solche Fällungen, wenn sie die Verkehrssicherungspflicht betreffen, stehen nicht zur Debatte. Für Verkehrssicherheit rodet man aber nicht einen ganzen Wald! Kleine Haselsträucher und aufwachsende Jungbäume sind keine Verkehrsgefahr! Unsere Recherchen zu den Rechtsgrundlagen und der Verkehrssicherungspflicht ergeben klar, dass Rodungen in diesem Ausmaß rechtlich nicht zu begründen sind. Wir verweisen z.B. auf das Urteil des LG Frankenthal (Pfalz) vom 10.03.2022, Az. 3 O 307/21 und einer Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, worin es heißt: "Als Schäden am Baum, die auf Krankheiten und Gefährdung der Verkehrsteilnehmer hindeuten, kommen vor allem Totholz, Fehler in der Rinde sowie der Belaubung in Betracht."
Es ist nicht zu rechtfertigen, an Straßen im Wald
prophylaktisch einen Streifen von einer Baumlänge frei zu roden. Verhindert werden muss eine konkrete Gefahr, nicht eine abstrakte. Sturmschäden fallen unter höhere Gewalt. Für die haftet der
Verkehrssicherungspflichtige ohnehin nicht.
Fachliche Praxis
Das Forstamt erklärt die Rodung fast aller Robinien
sei im Sinne eines stabilen, naturnahen, klimaresistenten Waldes geschehen. Ihre Rodung wird aber nun zunächst zu einem starken, unkontrollierbaren Stockausschlag und Wiederaufkommen führen und
weitere Eingriffe seitens des Forstamts erfordern. Die Verwüstung des kompletten kleinen Wäldchens und des Waldbodens durch den Einsatz eines Vollernters, einer riesigen Maschine wie sie in den
Wäldern Kanadas zur Holzernte eingesetzt wird, ist für unsere kleinen Waldflächen überdimensioniert und richtet enormen Schaden an. Wenn eine solche Maschine bei den nächsten Arbeiten im
Nonnenholz wieder zum Einsatz kommen sollte, haben die Erdkröten auch außerhalb ihrer Wanderzeit keine Überlebenschance. Diese Praxis ist vollkommen unsensibel. Denn dabei wurde auch die
Anpflanzung von Wildsträuchern im Bereich des Hundeübungsplatzes, die erst vor ca. 2-3 Jahren angelegt wurde, zerstört. So eine Vorgehensweises darf sich auf keinen Fall durchsetzen! Das Forstamt
darf seine weitreichenden Befreiungen von Naturschutzvorschriften mit guter fachlicher Praxis rechtfertigen, aber Kahlschlag im Amphibienwandergebiet ist keine gute fachliche Praxis! Massive
Fällungen im März auch nicht und erst recht nicht die Beschädigung eines Naturschutzgebiets.
Kommunikation
An dieser Stelle danken wir allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die sich an die Stadtverwaltungen, die Zeitungen und an uns gewandt haben. Es ist an der Zeit für eine angemessene Form der Kommunikation mit der Bevölkerung. Sowohl vor als auch nach einer solchen Maßnahme. Diesen Vorgang in der Pressemitteilung der Stadt Weil am Rhein mit „Der Klimawandel macht sich klar bemerkbar" zu betiteln, spottet den Bemühungen der Naturschützer und dem Bedürfnis der Bevölkerung nach einem respektvollen Umgang mit der Natur Hohn und mutet geradezu zynisch an.
Eins ist klar: Das darf sich nicht wiederholen! Aus Respekt vor den Bürgerinnen und Bürgern, aus Respekt vor der Natur, aus Respekt vor den Herausforderungen, die der Klimawandel an uns alle stellt und aus Respekt vor den ehrenamtlichen und hauptamtlichen Akteuren, die im Naturschutz tätig sind. Die Strukturen für Kooperation und eine bessere fachliche Praxis sind da. Das fachliche Know How ist vorhanden. Es kann doch wohl nicht sein, dass einerseits Menschen umsichtig für Natur- und Umweltschutz tätig sind, stets alle Akteure einbeziehen und informieren und andererseits das Forstamt mit kruden Aktionen genau diese Menschen vor den Kopf stößt und ihre Arbeit zunichte macht. Die notwendige Reaktion auf die veränderten klimatischen Umweltbedingungen erfordert eine Bündelung von Know How, eine effiziente Abstimmung von ökologischen Maßnahmen mit Eingriffen im Sinne der Verkehrssicherungspflicht und Kooperation im Hinblick auf ein sinnvolles, neues, zukunftsfähiges Gesamtkonzept.
Notwendige Maßnahmen - jetzt und zukünftig
Bitte lassen Sie auch den eingeschleppten Bambus entfernen. Ist der Forst nicht verpflichtet, Neophyten zu beseitigen? Warum wurden alle Bäume beim Sohleck gefällt und ein großer Bambusbestand stehen gelassen?
Am 8. April 2024 sollte nicht nur der Forstamtsleiter Bernhard Schirmer in den Finanzausschuss eingeladen werden, sondern auch Vertreter des Naturschutzes, z.B. der Fachbereichsleiter Grenzüberschreitender Naturschutz des TRUZ, Mickey Wiedermann, der selbst studierter Forstwissenschaftler ist und Herr Dr. Peter Kern von der Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt Lörrach, der für den amtlichen Naturschutz in Weil am Rhein zuständig ist.
Dies wäre der erste Schritt zu einer ausgewogenen Information des Gemeinderats und einer ehrlichen Auseinandersetzung mit dem Geschehenen.
Mit freundlichen Grüßen
BUND Ortsgruppe Lörrach-Weil
Kopie an:
Fraktionen des Gemeinderats Weil am Rhein
Badische Zeitung
Oberbadische Zeitung
TRUZ